Montag, 11. August 2008

Aktuelles (oder Immerwährendes)

Was soll ich schreiben? Dass sich nichts bewegt? Dass ich täglich Stunden damit verbringe, lebensfähig zu bleiben? Geführte Meditationen (trance) auf CD, positives Nacherleben (gibt es tatsächlich), positives Vorerleben (dito, Visionen), Sport, das Verstecken auf der Toilette, im Auto, die stundenlangen Suchen nach einem abgelegenen Ort, walking the Wopi-way, Bäume umarmen, künstliches Lächeln, diese gesammten Scheiss-Hilfsvorstellungen: das Lächeln im Bauch, das Licht etc.?

Jahre sind damit vergangen.

Dass ich derzeit bei diesen verf... NLP/trance-CDs verzweifle, weil mir kein Moment einfällt, in dem ich glücklich war, um dort "meinen Anker zu werfen" (das Glücksgefühl abrufbereit zu etablieren - klingt auch nicht besser). Dass ich mich auch nicht als einzigartiger Teil der unendlichen göttlichen Macht fühlen kann? Dass ich die Frage nach dem Sinn meiner Existenz, dem Zweck meines Lebens nicht beantworten kann?

Kurios der Vergleich der CDs der Hersteller dieser CDs; Altmeister Ruediger Dahlke, Arnd Stein (der klingt wie ein Deutschlehrer in den 1980er Jahre und immer über eine Blumenwiese gehen will - nicht sehr kreativ), der falsche esoterische Professor, diese "charismatischen" Österreicher nach nordamerikanischen Vorbild, genial und esoterikfrei Werner Eberwein aus Berlin.

Dass ich nicht glücklich, aber neutral (abgetötet) bin, wenn ich
- mich in tiefer trance befinde,
- mich mit Lorazepan zudonnere, bis die Augen auf Halbmast sind und ich Sprach- und Motorikprobleme bekomme oder
- drei Liter Weißbier trinken muss, bis ich nichts mehr fühle (nicht einmal Betrunkenheit)?
Wegen der Sauferei habe ich schon drei Kilo uzugenommen und morgens Magenschmerzen.
Es ist nicht mehr als Betäubung.

Das ich mich sogar bei Panikattaken fotografiert habe, um herauszufinden, ob das Gefühlte äußerlich sichtbar wird? Nein, nicht ansatzweise. Ich sehe eine weinende oder still schreiende Grimasse, mehr nicht. Es stimmt die Lehrmeinung: es ist unmöglich, einem Gesunden eine Depression verständlich machen. Das Innere kann nicht gesehen, nachvollzogen werden.

Dass ich der Ärztin, die mir zum x-ten Mal Arbeitsoderwasauchimmerunfähigkeit attestiert hat, versprechen musste, mich nicht zu erschiessen? Dass ich das nicht mache, weil ich nicht als Versager geltend will, weil ich mein Leben nicht so ungeordnet hinterlassen möchte, und weil es eine riesige Sauerrei ist (die Schädeldecke hinten wird trichterförmig aufgeschlagen und das Hirn im Zimmer verteilt)?!

Die Bank am Tierpark, die Kirche in G., das Auto überall - im Wald, in Tiefgaragen, in irgendwelchen Ecken, der Bombenkrater im Wald... meine Refugien. Der tägliche Kampf meine Hoffnung.
Die Trauer, die Angst, die Panik, die Leere gehen nicht weg.

Freitag, 27. Juni 2008

WISSEN: Cognitive enhancer - klug durch Pillen?

Geistig leistungsfähig zu sein wünscht sich jeder. Um den eigenen und sozialen Ansprüchen gerecht zu werden, greifen verschiedene Personengruppen zu Arzneimitteln, die in dem Ruf stehen, Konzentration und Merkfähigkeit zu fördern. Die wissenschaftliche Basis für einen solchen Einsatz ist aber dürftig.


Im April 2008 veröffentlichte Nature die Ergebnisse einer Online-Befragung, in der die Teilnehmer Auskunft über ihre Einnahme von Medikamenten zur kognitiven Leistungssteigerung gaben. Tatsächlich gaben 20% der 1.400 Befragten an, schon einmal Modafinil (Provigil), Methylphenidate (Ritalin) oder einen Beta Blocker wie Propranolol eingenommen zu haben, um sich konzentrierter zu fühlen oder das Gedächtnis zu unterstützen. Dieser Off-Label-Use hat unterschiedliche Ausprägungen, 27.3 % der Teilnehmer nehmen ein solches Arzneimittel nur einmal im Jahr, rund ein Viertel nehmen es monatlich oder einmal die Woche, wiederum ein Viertel täglich.

Modafinil, Ritalin, Propranolol

Die Befragung ist gleich aus mehreren Gründen interessant. Zum einen deutet sie auf ein Phänomen hin, das unter der Bezeichnung "cognitive enhancement" seit einiger Zeit in den USA und Großbritannien diskutiert wird (siehe Sahakian 2007, für die ethischen Fragen siehe die Zusammenstellung von Martha J. Farah). Die zugrunde liegende Annahme ist, dass weithin nebenwirkungsfreie Medikamente zur Verfügung stehen, die der Hirnleistung von gesunden Menschen förderlich sind. Eine Analyse der zur Verfügung stehenden Studien zeigt allerdings die Unhaltbarkeit einer solchen These. So berichten die Hälfte aller der von Nature befragten Personen von unangenehmen Nebenwirkungen.

Zudem gibt es bislang wenig Untersuchungen, die beispielsweise positive kognitive Effekte von Modafinil bei gesunden Menschen nachweisen konnten. Danielle Turner von der Universität Cambridge testete Modafinil 2003 an 60 gesunden Probanden. Das Ergebnis: Gegenüber Placebo schnitten sie in einem Test des Kurzzeitgedächtnisses signifikant besser ab. Die genauere Analyse relativiert den Befund: So verbesserten sich beispielsweise die Werte bei der Mustererkennung und dem Zahlenerinnerungstest Digit-Span, nicht aber beim schnellen Erfassen visueller Informationen und dem CANTAB-SWM2, einer klassischen Testbatterie zur Aufmerksamkeitsprüfung. Und: Die Modafinil-Testpersonen waren in der Bearbeitungsgeschwindigkeit beim Zahlen-Verbindungs-Test (ZVT) nicht besser als andere. Eine Übersichtsarbeit von Michael Minzenberg und Cameron Carter ergab 2007, dass Modafinil bei gesunden Probanden nicht automatisch alle kognitiven Leistungsparameter nach oben schraubt. Wie sagte schon Laotse so schön: "Will man messen, muss man Maßstab wissen". Nicht nur bei Modafinil, auch bei Methylphenidat erschweren unterschiedliche Testbatterien die Vergleichbarkeit von Studien.

Smart Drugs?

In den letzten Jahren und Jahrzehnten standen immer wieder Substanzen für kurze Zeit in dem Ruf, der geistigen Aufnahmekapazität zuträglich zu sein. Man erinnere sich nur an die "Smart-Drugs" der 90er Jahre. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich bis heute, dass die Mittel entweder Derivate altbekannter Stimulanzien sind (so wie Methylphenidat, das ähnlich dem Amphetamin

Anfang der 2000er Jahre wollte man mit den "Ampakinen" den Schlüssel zum Gedächtnisspeicherung gefunden haben. Diese Substanzen wirken primär an einer Untergruppe der Glutamat-Rezeptoren im Zentralnervensystem, den AMPA-Rezeptoren. Aber die Versuche mit CX-516 und anderen Kandidaten verliefen im Sande. Selbiges gilt für den Wirkstoff MEM 1414, der eine Zeit lang durch die Wissenschaftsmagazine geisterte (dazu ausführlich Auf dem Hövel 2008). Der Extrakt aus dem Ginkgo-Baum wird bis heute ebenfalls an gesunden Menschen daraufhin getestet, ob er nicht nur die Durchblutung, sondern auch den Geist ankurbelt. Die Ergebnisse sind widerspüchlich, einige Forscher finden positive Effekte von Ginkgo biloba (zuletzt Kaschel 2007, andere sehen keine Vorteile (u.a. Burns 2005). Vielleicht ist Ginkgo das beste Beispiel dafür, dass das menschliche Gehirn im Zusammenspiel mit dem Körper ein Gleichgewicht hält, welches nur schwer optimiert werden kann.
wirkt), und damit primär wach halten, oder aber die Arzneimittel zwar die kognitiven Funktionen bei dementen Patienten moderat verbessern, bei gesunden Menschen aber weithin versagen. Es gibt von daher keinen Grund den Begriff der "Nootropika" wieder aus dem Hut zu zaubern oder gar eine neue Substanzklasse der "cognitive enhancer" zu etablieren.

Dies weist auf ein weiteres Phänomen hin, das durch die Nature-Befragung ans Licht gekommen ist. 60 Prozent derjenigen, die an der Umfrage teilnahmen, waren unter 35 Jahre alt, 70 % kamen aus den USA. Die Online-Befragung ist nicht repräsentativ, zudem fehlen auch ansonsten verlässliche Daten über den Off-Label-Use von diesen Medikamenten. Bei vorsichtiger Interpretation lässt sich allerdings sagen, dass unter jüngeren, wissenschaftsaffinen Personen eine Tendenz existiert, konzentriert geistige Zustände durch Psychopharmaka evozieren zu wollen, um im Lern- und Berufsumfeld leistungsfähiger zu sein. Zukünftig wird diskutiert werden müssen, an welchen Stellen der Missbrauch beginnt und wie weit sich ein soziales System erlauben möchte, jedwede Befindlichkeit mit einem Pharmazeutikum unterstützen oder unterdrücken zu wollen.

(c) DocCheck, 27.06.08 (Newsletter 08.26, Artikel 3)

Montag, 17. März 2008

Wissen: "Irrwege zum Glück" (F.A.S. vom 16.03.2008)

Jörg Albrecht schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 16.03.2008 auf Seite 59 über die Entwicklungsgeschichte der Antidepressiva und über die Schwierigkeit des Wirksamkeitsnachweises durch Studien sowie das "trial-and-error"- Verschreibungsverfahren in der Praxis:

"Irrwege zum Glück

Prozac ist das am meisten konsumierte Antidepressivum der Welt. Jetzt heißt es, die Pillen hätten gar keine Wirkung. Stimmt das? Die Debatte jedenfalls ist längst nicht beendet.

Von Jörg Albrecht

Frisst der Hund nicht mehr? Ist die Katze schlecht drauf? Wirkt der Papagei irgendwie deprimiert? Fragen Sie Doktor Pizzi. Romain Pizzi vom Royal College of Veterinary Surgeons geriet soeben in die Schlagzeilen, weil er dafür warb, frustrierten Haustieren Prozac zu verabreichen. Der Mann scherzte nicht: Unter dem Handelsnamen "Reconcile" (etwa: "in Einklang bringen") ist seit einiger Zeit ein Medikament erhältlich, das Hunden die Trennungsangst nehmen soll. Auch bei tropischen Papageien, die häufig ohne Partner gehalten werden und unter permanentem Liebesdefizit leiden, zeigt Prozac angeblich gute Erfolge.

Warum auch nicht? Prozac gilt bis heute als universelle Glücksdroge. Die meisten Menschen glauben, man könne das Zeug einfach schlucken, um gut drauf zu sein. Wer so redet, hat noch nie einen selektiven Serotonin- Wiederaufnahmehemmer kennengelernt. Denn das ist Prozac: Ein Antidepressivum neuerer Bauart mit dem Wirkstoff Fluoxetin, der in den Hirnstoffwechsel eingreift und dafür sorgt, dass die Konzentration des Botenstoffes Serotonin an den Kontaktstellen der Gehirnzellen erhöht bleibt.

In Deutschland spielt Prozac unter dem Markennamen Fluctin keine so große Rolle wie in den Vereinigten Staaten oder Großbritannien, wo Spuren davon sogar im Trinkwasser nachgewiesen wurden. Doch es gibt eine Reihe ähnlicher Medikamente, und sie werden fleißig geschluckt. Aber ganz bestimmt nicht zum Vergnügen. Häufige Nebenwirkungen laut Beipackzettel sind: Schwäche und Erschöpfung, Blutdruckanstieg, Übelkeit, Appetitlosigkeit, Schwindel, Nervosität, Potenz- und Orgasmusstörungen. In Selbsthilfegruppen ist die Rede davon, dass es nach dem Absetzen noch schlimmer kommen kann - Erregung, Verwirrtheit, Angst, blitzartige Panikattacken. Fragt man Mediziner danach, winken sie häufig ab: "Nur vorübergehend. Unangenehm, aber nichts Ernstes." Fragt man Betroffene, hört sich das anders an. Es ist nicht zuletzt eine Frage der Dosis.

Als die Klasse der Serotoninmedikamente Ende der achtziger Jahre auf den Markt kam, war der Jubel anfangs groß. Endlich glaubte man, nebenwirkungsarme Psychopharmaka entdeckt zu haben. Mittel wie Valium waren in Verruf geraten, weil sie süchtig machten. Auch die zweite Generation der vermeintlichen Sorgenbrecher, die sogenannten trizyklischen Antidepressiva, entwickelten im Laufe der Jahre einen schlechten Ruf; in Verbindung mit Alkohol galten sie als geradezu mörderischer Cocktail, also nicht gerade das, was man mal eben beim Hausarzt um die Ecke bekam. Den Monoaminooxidase-Hemmern, die ursprünglich gegen Tuberkulose entwickelt worden waren und heute nur noch gegen schwere atypische Depressionen eingesetzt werden, ging es nicht besser; sie vertragen sich nur schlecht mit vielen Lebensmitteln und anderen Substanzen.

Umso steiler war die Karriere der Serotonin- Wiederaufnahmehemmer. 1997 wurden in Deutschland 42 Millionen Tagesdosen verschrieben, 2006 waren es bereits 312 Millionen. Im angelsächsischen Raum machte der Begriff "kosmetische Pharmakologie" die Runde. Die Psychopillen wurden angepriesen wie Vitamine. Harvard-Studenten schluckten sie gegen Prüfungsangst, Teenager gegen Liebeskummer, Börsenmakler gegen Erschöpfung.

War das alles nur kollektive Einbildung? Auf den ersten Blick sieht es beinahe so aus. Nach und nach gelangen Forschungsergebnisse ans Tageslicht, die bei der Zulassung unter den Tisch gefallen waren. Richtig in Schwung kam die öffentliche Debatte, die in den Fachjournalen seit vier Jahren schwelt, als der britische Psychologe Irving Kirsch vor kurzem eine Analyse vorlegte, nach der die gepriesenen Serotoninmittel in Dutzenden von klinischen Studien über einen Zeitraum von vier bis acht Wochen keine stärkere antidepressive Wirkung zeigten als Zuckerpillen. Sind Millionen von Tablettenschluckern also bloß dem Placeboeffekt aufgesessen?

Das ist eine der möglichen Erklärungen. Wer bloß unter schlechter Laune leidet und sich von Serotonin- Wiederaufnahmehemmern einen Stimmungskick erhofft, muss fest daran glauben. Von allein wird daraus nichts. Und auch milde Depressionen können innerhalb von sechs bis acht Wochen genauso von selbst verschwinden wie unter dem Einfluss von Fluoxetin und seinen chemischen Verwandten. Das erklärt, warum die meisten Studien keinen Unterschied zwischen Wirkstoff und Placebo finden. Denn Studien, bei denen weder Arzt noch Patient wissen, wer was verabreicht bekommt, werden nur mit Teilnehmern durchgeführt, die nicht ernsthaft leiden. Dass von Selbstmordgedanken geplagte Patienten zur Tat schreiten, weil sie den echten Stoff nicht erhalten, würde kein Medikamentenhersteller riskieren. Das ist ein grundsätzliches Problem bei Studien mit Placebos.

"Mit dem Alltag in einer Klinik haben diese Studien nichts zu tun", sagt Gregor Hasler von der Psychiatrischen Poliklinik Zürich. "Das sind untypische Patienten, die daran teilnehmen. Die würden normalerweise nicht einmal behandelt." Der Patient, der wirklich unter Depressionen leidet, sieht anders aus. Nur wie?

Als Richtschnur dient immer noch die sogenannte Hamilton-Skala aus dem Jahre 1960. Der Arzt schätzt anhand eines Fragebogens den Schweregrad von Schuldgefühlen, Selbstmordgedanken, Schlafstörungen, Problemen bei der Arbeit, Angst oder Gewichtsverlust, aber vergibt auch Punkte dafür, ob der Patient zappelig ist, die Krankheit leugnet oder Verdauungsbeschwerden hat. Sechzig Punkte sind auf der Hamilton- Skala möglich. Oberhalb von dreißig Punkten gilt der Patient als schwer, darunter als leicht bis mittelgradig depressiv. "Ein schreckliches Instrument", sagt Hasler, "eigentlich völlig untauglich." Objektivere Messverfahren zur Feststellung der Schwere einer Depression gibt es allerdings nicht, und deshalb lässt sich auch nicht zuverlässig sagen, wie viele Menschen überhaupt darunter leiden.

Trotzdem ist der Eindruck entstanden, dass Depressionen sich zur Volkskrankheit entwickelt haben. Vier Millionen Menschen sollen angeblich in Deutschland akut in Behandlung gehören, weitere zehn Millionen würden bis zu ihrem 65. Lebensjahr erkranken, heißt es immer wieder. Woher diese Zahlen kommen, bleibt im Dunkeln. Eine klare Sprache sprechen nur die Statistiken der Krankenkassen. Danach stieg die Zahl der Fehlzeiten in Betrieben auf Grund depressiver Erkrankungen zwischen 2001 und 2006 um mehr als ein Drittel.

Mit der vermeintlichen Spaßgesellschaft, die Prozac als Lifestyle-Droge konsumiert, hat das nichts mehr zu tun. Stattdessen wächst die Zahl der Ausgebrannten, die mit den Anforderungen der Berufswelt nicht zurechtkommen. Wer früher am Fließband stand, schaffte das auch noch, wenn sein Gefühlsleben getrübt war. Wer heute gezwungen ist, seinen Lebensentwurf dauernd neu zu überdenken, bewältigt das nicht mehr, wenn ihm die Depression die Zuversicht raubt. Er kann noch von Glück sagen, wenn er rechtzeitig den Weg in eine psychiatrische Klinik findet.

Da trifft er beispielsweise auf die Anwaltstochter, die unfähig ist, ihr Studium zu beenden und sich mit Suizidgedanken trägt. Oder den Steuerprüfer, der unter ständig wachsenden Aufgaben zusammenbricht. Den überforderten Buchhalter, der regelmäßig mit dem Aufblühen der ersten Krokusse in emotionale Starre versinkt. Den erfolgverwöhnten Geschäftsführer, der mit sechzig auf die Straße gesetzt wurde und nicht mehr weiter weiß. Den Bundesverdienstkreuzträger, der ein Leben lang aktiv war und nun nach zwei Knieoperationen verzweifelt. Oder die Witwe, die allein in ihrem großen Haus vereinsamt. Sie alle werden von klinischen Studien gar nicht erst erfasst. Aber trotzdem behandelt. Und das sieht in der Praxis wieder anders aus als in wissenschaftlichen Veröffentlichungen.

Auch mehr als fünfzig Jahre nach der zufälligen Entdeckung des Chlorpromazins zur Behandlung von Psychosen kann man im Einzelfall immer noch nicht vorhersagen, welches Medikament welchem Patienten hilft. Und schon gar nicht, warum. Tonnen von Literatur geben Auskunft darüber, welche biochemischen Auslöser beteiligt sein könnten. Doch in Wahrheit steht nicht einmal fest, ob Serotonin oder irgendein anderer Neurotransmitter überhaupt verantwortlich sind für die Entstehung einer Depression. Also heißt das für den behandelnden Arzt immer noch: Versuch und Irrtum. Anfangs wird die Dosis niedrig gehalten und später gesteigert, bis sich ein Effekt zeigt. Ist das nach zwei Wochen nicht der Fall, wird abgesetzt, und das nächste Mittel kommt zum Einsatz. In zwei Dritteln aller Fälle führt das auch ans Ziel. Gesprächs- oder Verhaltenstherapien erhöhen die kurzfristige Erfolgsquote auf ungefähr achtzig Prozent. Wenn man denn von Erfolg sprechen will: Ob geheilt oder nicht - nach der Behandlung wird der Patient entlassen und steht draußen vor der gleichen Situation wie vorher. Wie es ihm anschließend ergeht, ob die Depression wiederkehrt, steht auf einem anderen Blatt.

Dagegen hilft kein Fluoxetin und auch kein Johanniskraut. Aber es erklärt, warum der Absatz von Antidepressiva steigt. Denn eine depressive Phase nach einem Schicksalsschlag macht fast jeder Mensch im Laufe seines Lebens durch. Nur ist die Bereitschaft erheblich gewachsen, in solchen Fällen medikamentöse Hilfe zu suchen. Es liegt im natürlichen Interesse der Pharmaindustrie, dass dabei neue Absatzmärkte entstehen. Kinder, Jugendliche, Wöchnerinnen, Greise, jeder leidet irgendwann mal an Verstimmungen, Ängsten, Scheu oder Antriebslosigkeit. Das ist zwar nicht neu, aber als Geschäftsfeld noch ausbaufähig.

Schwermut hat die Menschheit seit eh und je begleitet. Sie tauchte bei den Mönchen des Mittelalters genauso auf wie an königlichen Höfen. Sie wurde nur unterschiedlich benannt und bewertet. Ist es die gleiche Krankheit, die heute Popsängern, Sportlern oder Schauspielern zu schaffen macht? Wer ist überhaupt noch normal in einer Zeit, in der Wirtschaft und Politik zunehmend manische Züge zeigen? Im Diagnosehandbuch der American Psychiatric Association wurden 1952 gerade mal hundert psychische Störungen aufgeführt, bei der jüngsten Revision 1994 waren es immerhin schon dreimal so viele, und seitdem sind etliche Syndrome hinzugekommen. Wer an Depressionen leidet, ist in größerer Gesellschaft als je zuvor. Nur dort, wo Spaßvögel den Ton angeben, ist er ganz und gar nicht mehr willkommen."

(Copyright: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung)

Sonntag, 24. Februar 2008

Wissen: "Die Pathologie des Normalen" (Neuro-Enhancement) (akt. 22.02.2008)

In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, 28.10.2007, Nr. 43, Seite 80, erschien ein Kurzbericht über einen Vortrag von Prof. Dr. med. Bettina Schöne-Seifert über soziale und psychologische Folgen des Euro-Enhancement (vgl. auch Medikamentation: Psychopharmaka und "life drugs", Stichwort: Vigil):

"Die Pathologie des Normalen - Emanzipatorisches Versprechen oder doch nur Tyrannei der Leistungsgesellschaft?
"Neuro-Enhancement" belebt den alten Traum von einer Optimierung des Menschen.


Von Ariane Breyer

In der Debatte um medikamentöse Leistungssteigerung im Profisport, die in jüngster Zeit von weiteren Enthüllungen noch einmal neuen Schwung erhalten hat, kommt ein besonders sensibler Aspekt unseres Moralbegriffs zum Tragen. Er schlägt sich als Empörung des düpierten Publikums nieder. Doping, so der Vorwurf, verschaffe dem Nutzer unlautere Wettbewerbsvorteile.

Das Unbehagen, das sich nicht zuletzt aus der Angst vor der eigenen Übervorteilung speist, wächst in dem Maße, in dem die biomedizinische Selbstverbesserung auch im Alltag Anwender findet. "Neuro-Enhancement" lautet die schnittige Formel für den außertherapeutischen Einsatz von pharmakologischen Mitteln, um die körperliche oder kognitive Leistung zu steigern. Wegen der gefühlten Unnatürlichkeit derartiger Eingriffe werden Ritalin, Prozac und andere Psychopharmaka oft skeptisch als Speerspitze einer absurden Medikalisierungstendenz betrachtet. Deren Ziel ist es nicht, Kranke gesund, sondern Gesunde noch gesünder zu machen.

Aber hat nicht das Augenmaß der Natur auf skandalöse Art versagt, als sie sich anschickte, Fähigkeiten und Handicaps gerecht unter den Menschen zu verteilen? So betrachtet, könnte im Neuro-Enhancement die Chance auf einen Ausgleich der natürlichen Ungleichbehandlung liegen.

In ihrem Vortrag, den Bettina Schöne-Seifert kürzlich an der RWTH Aachen hielt, untersuchte sie die moralischen Reflexe, die unseren Umgang mit dem Thema "Mind-Doping" strukturieren. Sie leitet das Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der Universität Münster. Mit dem Verweis auf das Kriterium der Unnatürlichkeit sei die Frage nach der ethischen Bewertung leistungssteigernder Maßnahmen nicht beantwortet, sagt die Professorin für Medizinethik. Krankheitsbehandlung sei, strenggenommen, per definitionem unnatürlich, denn immer greife sie in den biologischen Verlauf ein: "Die Möglichkeit eines Enhancements außerhalb der klassischen Krankenbehandlung ist daher nicht pauschal als moralisch heikel zu verwerfen."

Biomedizinische Intervention bei Gesunden beginne offensichtlich an der Grenze zwischen Behandlung und Enhancement. Diese Grenze hingegen sei so unscharf wie der Begriff der Krankheit selbst. Ein banales Beispiel, das die Komplexität dieses Problems umso besser illustriert, ist die Altersschwerhörigkeit; eine lästige, aber als normal akzeptierte Begleiterscheinung des Älterwerdens und deshalb nicht zwingend pathologisch. Nun aber leidet der in seinem Hörvermögen Eingeschränkte unter diesem Symptom - liegt jetzt eine Krankheit vor? Wie verhält es sich mit präventiven Maßnahmen, die einer beginnenden Reduktion des Gehörs entgegenwirken wollen? Enhancement oder Therapie?

Fluch und Segen des Enhancements ließen sich, meint Frau Schöne-Seifert, allein an der bislang uneingelösten Zielvorgabe ablesen: der selektiven Funktionsverbesserung ohne medizinische Kosten. Das freilich sei heute, da es keine nebenwirkungsfreien Enhancer gebe, Zukunftsmusik. Geforscht werde mit großer Intensität in diesem Bereich, bietet er der Pharmaindustrie doch die Möglichkeit, auch noch die Gesunden als Zielgruppe zu erschließen. Vorausgesetzt also, das Gedächtnis ließe sich völlig risikofrei stärken, die Aufmerksamkeit steigern, die Stimmung heben und die Methode fände Anklang: Wo müsste die medizinethische Evaluation der Chancen und Risiken einsetzen?

Auf sozialer Ebene sei das Szenario einer Wettbewerbsspirale denkbar, weil der Vorsprung, den sich der Einzelne im Wettbewerb verschafft, nivelliert wird, wenn alle dies tun. Sobald die Einnahme von Mitteln üblich wäre, um das Schlafbedürfnis herabzusetzen - etwa beim Militär oder im oberen Management -, könnte sie auch zu den impliziten Anforderungen des Marktes avancieren. Gleichzeitig würde diese Wettbewerbsspirale die soziale Ungerechtigkeit sogar verschärfen, indem die entsprechenden Medikamente nur den Wohlhabenden zugänglich sind. Oder will man Enhancer krankenkassenfähig machen und damit ein minimales Schlafbedürfnis zum Primärgut?

Das mit steigendem sozialen Druck eng verbundene individualethische Problem betrifft die Frage der menschlichen Autonomie. Die ist dann gefährdet, wenn die Einnahme entgegen der eigenen Überzeugung, aber auf Grund gesellschaftlicher Zwänge akzeptiert wird. Zudem wäre zu überlegen, sagt die Wissenschaftlerin, inwieweit Neuro-Enhancement einen Authentizitätsverlust nach sich ziehe. Verleugnet nicht jeder, der ohne medizinische Indikation Antidepressiva schluckt, um sich "besser als gut" zu fühlen, seinen "natürlichen" Charakter? Wiegt die Treue zum Ich nicht schwerer als das individuelle Befinden? Bettina Schöne-Seifert sieht hinter der ohnehin komplexen ethischen Frage ein ungleich schwierigeres anthropologisches Problem: Was braucht der Mensch eigentlich, um ein gelingendes und glückliches Leben zu führen?"

Literaturhinweis: Bettina Schöne-Seifert, "Pillen-Glück statt Psycho-Arbeit". In: no body is perfect. Hg. J.S. Ach, A. Pollmann. Bielefeld 2006.

Copyright: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Vorschau: geplante Beiträge (22.02.2008)

Geplant bzw. angefangen sind die folgenden Texte zur späteren Veröffentlichung:

1. Der Depressive in der Gesellschaft; wie fühle ich mich in meinem sozialen Umfeld, wie werden Depressive von Gesunden gesehen - soll man sich "outen"?, Depression in Partnerschaft und Familie.
2. Bewährte und in der Praxis anwendbare "Tools" zum Meistern des Lebens.
3. Wissensbeiträge, wenn interessant.
4. Ergänzung Beitrag Medikamentation: "trial-and-error"-Verfahren, Suche nach richtigen Neurologen/Psychiater (ähnlich Beitrag Therapeutensuche).
5. Erfahrungen mit Internet-Foren und Selbsthilfegruppen.

Psychotherapie: 4 Tipps zur Therapheutensuche (akt. 22.02.2008)

Neben der Medikamentation ist Psychotherapie die zweiten Säule einer richtigen Depressionsbehandlung.

Einen "guten" Therapeuten zu finden ist eine höchst subjektive Angelegenheit, zwischen Patient und Therapeut muss "die Chemie stimmen", um erfolgreich gemeinsam die Krankheit bekämpfen zu können. Folgend also meine persönlichen Empfehlungen:

1. Was die fachlichen Qualifikationen betrifft, tendiere ich zu Therapeuten mit Medizinstudium und spezifischer Zusatzausbildung, möglichst promoviert. Die einschlägigen Berufsbezeichnungen sind verwirrend und unübersichtlich, es gibt Dutzende Verbände und (Zusatz-) Qualifikationen, da ist mir ein normaler Arzt mit universitärerer Spezialisierung lieber - es sei denn, man mag zu einem Therapeuten, der 20 Semester in erster Linie sich selbst studiert hat.
Mein jetziger - nicht-medizinischer - Therapeut zeigt aber auch, daß es Ausnahmen gibt.

2. Neben der fachlichen Ausbildung sind bestimmte charakterliche Voraussetzungen - viel mehr als bei anderen Medizinern - erforderlich: Engagement, Pragmatismus und Diskretion. Ich hatte z. B. mit meinem Therapeuten die Vereinbarung, dass ich ihn (resp. den Anrufbeantworter der Praxis) jeden Morgen anrufe, sobald ich mein Tagesprogramm startete. Die arme Sekretärin musste dann eine Liste mit den Daten führen, die bei der nächsten Sitzungbesprochen wurde.

3. Ein guter Therapeut ist wie ein Coach. Je nach Bedarf und Lebensumständen hört er nur zu, oder er gestaltet aktiv das Leben mit dem Patienten. Das kann kleinteilig sein wie bei der Aufstellung eines Tagesplanes oder langfristig in der Entwicklung von alternativen Lebensgestaltungen.
Ich habe mich bei Therapeuten, wo ich stundenlang nur erzählen sollte und der Therapeut unendlich viel Notizen machte - völlig sinnlos, denn sie wurden in späteren Sitzungen nicht verwendet - und mir lediglich ab und zu bedeutungsschwanger zunickte, schnell gegen sie entschlossen (siehe 4. Tipp). Eine gute Therapie ist aktive Zusammenarbeit mit konkreten Zielen.

4. Scheuen Sie nicht den Wechsel, wenn die ersten Sitzungen Sie nicht überzeugen. Gut ist die Regelung der Krankenkassen, sich erst nach 5 Probesitzungen entscheiden zu müssen (ein späterer Wechsel ist aber auch möglich).
Ich habe 2 Therapien gemacht, die 1. bei dem dritten Therapeuten, bei der 2. Therapie habe ich mich bereits für den zweiten Therapeuten entschieden.

Samstag, 23. Februar 2008

Beschreibung einer Depression und derer Symptome, Gegenmaßnahmen (akt. 22.02.2008)

Folgend die Schilderung, wie sich die Depression in meinem Fall manifestiert - es gibt viele unterschiedliche Erscheinungsformen und Symptome.

Allgemeine Beschreibung:
Es ist eine konstante, tiefsitzende, beklemmende Angst, die allgegenwärtig, aber grund- und gegenstandslos ist. Die Intensität variiert zwischen einer lauernden Lähmung und paralysierendem, brutalem Hass.
Die intellektuelle Leistungsfähigkeit reduziert sich auf eine dumpfe Leere - sie "macht dumm". Sie drückt die Persönlichkeit nieder, sie tötet die Fähigkeit zur Freude, sie macht teilnahme-, interessen- und ziellos.
Sie beherrscht mich nicht immer, aber sie ist immer präsent und scheint nur darauf zu warten, auszubrechen.

Einzelheiten/Beispiele zur Veranschaulichung:
1. Bei einem der vielen Medikamentenwechsel (von "Solvex" zu "Elontril") gab es eine befremdliche neue Erfahrung; ich fühlte mich mehrere Tage (innerlich) tot. Äußerlich lief alles seinen Gang. Absolut keine Gefühle, kein Interesse. Neu war, daß ich nichts fühlte, also auch keine Angst oder Panik. Neutralisiert. Immer nur der nüchterne Gedanke: Warum? Warum soll ich aufstehen? Warum soll ich lernen? Warum soll ich reden? Warum essen? Also: Die Frage nach dem Sinn.

2. Zeitweise Angst vor Telefonaten, Angst vor (auch anonymer) Öffentlichkeit - sog. "soziale Phobie".
Meine Maßnahme dagegen war, als es schlimm war, dass ich mir vorstellte, mich in einer Art durchsichtigen Kugel durch die Öffentlichkeit zu bewegen, an der wie bei einer Art Schutzhülle sämtliche Einwirkungen (?) abprallen. Derzeit ist es ausreichend, sich manchmal mit Sonnenbrille und Ohrstöpseln zu "verkleiden".

3. Vereinzelt das sehr erschreckende Gefühl, etwas sehr Schlimmes würde wie eine schwarze Hand von hinten nach einem greifen (Wahnvorstellung).

4. Alpträume; mein derzeitiger Rekord: sechs hintereinander in einer Nacht, unterbrochen durch kurzes Aufwachen. Glücklicherweise erinnere ich mich nur an einen: ich liege wie in der tatsächlichen Situation (Ort, Zeit) im Bett, die Arme wie bei einem auf dem Rücken liegenden Käfer nach oben gestreckt, und kann mich nicht bewegen, außer den Unterarmen, jedoch ist nur minimale kraftlose Bewegung möglich. Der Rest des Körpers befindet sich in einer Totenstarre. Es besteht eine Gefahrensituation. Ich meine mich leise winseln zu hören, da ich verzweifelt versuche, um Hilfe zu rufen. Sehr gruselig.

5. Spontanes emotionales Zusammenbrechen, wie eine Welle mit Wucht über mich hereinbrechend; Verzweiflung, Panik, Weinkrämpfe, Schluchzen. Das kann stundenlang dauern und macht so richtig fertig.

6. Auf Balkonen, Brücken die spontane Lust, herunterzuspringen. Ein Sprung, und nach Sekunden endlich Erlösung.

7. Tatsächliche Tiefschläge dagegen interessieren mich kaum; wie zum Beispiel die Nachricht, definitiv durch das Examen gefallen zu sein. Ich hatte es nicht erwartet, aber damit gerechnet. Auch starke Glücksgefühle habe ich kaum. Äußerlich merkt man mir nichts an, ich nehme am Leben teil, lache, unterhalte mich, interessiere mich für Dinge und Menschen. Das alles ist nicht gespielt, aber nur oberflächlich, das Grundgefühl ist wie oben bei der allgemeinen Beschreibung.

8. Es ist vergleichlich mit einem "Burn-Out-Syndrom", mit dem Unterschied, dass ich nicht an 6,5 Tagen/Woche 15 Stunden täglich arbeite, sondern das normale Leben allein sehr anstrengend und erschöpfend ist. Das Leben selbst kostet viel Kraft.

Gegenmaßnahmen:
Kontrolliertes strukturiertes Verhalten, unterstützt von den genannten Medikamenten. Ich kann die Depression durch befriedigende, d. h. anspruchsvolle Arbeit niederhalten und somit neutralisieren. Gelingt dies nicht, so wächst sie mit Tagesverlauf schleichend an; oder sie wird spontan ausgelöst. Starke Disziplin und starke Medikamente, regelmäßiger Sport.

Mein Traum:
1. Morgens aufwachen und einfach vor nichts mehr Angst haben.
2. Oder körperlos in/unter warmen Wasser schweben. Körperlosigkeit heisst psychisch frei von Angst und Beklemmung, physisch Gegenstandslosigkeit ("wie ein Geist").
3. Manchmal stelle ich mir vor, wie schön es wäre, durch die Luft zu fliegen, alles und jeden betrachten zu können, nichts mehr zu empfinden, also tot zu sein und Abschied zu nehmen.

Medikamentation: Psychopharmaka und "life drugs" (akt. 22.02.2008)

Die erste Säule der Depressions-Behandlung: Medikamentation. Folgend meine Erfahrungen mit den diversen Psychopharmaka, die ich im Laufe der Zeit im "trial and error"-Verfahren gesammelt habe.

1. "Tevilor" (Wirkstoff: Venlafaxin): Ein sehr effektives Psychopharmaka, welches ich - in angepassten Tagesdosen von 35 mg bis 300 mg Venlafaxin - über mehrere Jahre genommen habe. Sehr gute emotionale Verbesserung und Stabilisierung auf relativ hohem Niveau, mit geringen Schwankungen. Ich fühlte mich wie "in weiche rosarote Watte gepackt".
Ein riesiges Problem ist die intellektuelle Beeinträchtigung, ich nenne es - in Anlehnung an den emotionalen Zustand - bildlich gesprochen ein "rosa Rauschen", welches im Kopf vorherrscht, und stark Lernen und Konzentration behindert. Insofern war es für meine Situation (Studium) ungeeignet, was ich viel zu spät gemerkt habe. Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich während der Verabreichungszeit von Trevilor wie in einem leichten Rausch lebte, Probleme - aber auch das Leben! - gingen an mir vorüber. Senil grinsend trieb ich durch die Zeit. Insofern ist es eher für Menschen geeignet, die nichts mehr tun müssen und einfach nur "glücklich" sein wollen.
Nebenwirkungen: Benommenheit, Verwirrung, Vergesslichkeit, Erektionsprobleme, starkes Schwitzen und stechender Schweiß- und Uringeruch, erhöhter Puls, schnelle Erschöpfung (beim Sport).

2. 12 mg Reboxitin ("Solvex") zusammen mit 100 mg Modafinil ("Vigil"), letzteres anfangs off-label verschrieben, da es in Deutschland zur Depressionsbehandlung noch nicht zugelassen war: das war ein radikaler Wechsel nach "Trevilor". Ca. 1 Woche nach der Umstellung kam der schlimmste Zusammenbruch, den ich bisher erlebt habe. Und eine beeindruckende Verbesserung der intellektuellen Fähigkeiten, wie ein Erwachen, und als wäre man (wieder) intelligent geworden. Die Beklemmungen gingen leider nicht weg.
Nebenwirkungen: Dauermüdigkeit, was keine unmittelbare Nebenwirkung ist, denn ich schlafe nachts tief und fest - aber zu kurz. Ich springe um fünf Uhr hellwach aus dem Bett und weiß dann nicht so recht, was ich tun soll. Selten gelingt das erneute Einschlafen nach dem Umzug auf das Sofa.

3. Bupropion ("Elontril") wurde in fortschrittlicheren Ländern als Deutschland bereits seit Jahren als Antidepressivum eingesetzt, hier ist es dafür erst seit Frühjahr 2007 zugelassen.
Es zeigt wohl auch unterstützende Wirkung bei Raucherbeendigung und Gewichtsabnahme und ist deshalb - in gleicher Dosierung! - auch als "life-drug" im Handel. Das zeigt wiederum, wie wenig tatsächlich über Depression als Botenstoffstörung bekannt ist. Amüsiert las ich auf dem Beipackzettel: "Es wird vermutet, dass es im Gehirn mit den chemischen Substanzen Noradrenalin und Dopamin in Wechselwirkung tritt. Diese Substanzen werden mit der Entstehung von Depressionen in Verbindung gebracht".
Der gleiche Wirkstoff in derselben Dosierung als Luxusdroge für Raucher, die damit aufhören wollen. Sehr unspezifisch. Also bin ich so etwas wie ein biochemisches Versuchskaninchen; besser aber das als Nichtstun.

4. Mit "Elontril" zusammen mit "Vigil" (Wirkstoff: Modafinil, s. o.) nehme ich nun zwei Medikamente, die auch als "life drugs" eingesetzt bzw. abgesetzt werden. In der "Wirtschaftswoche" stand, daß Manager "Vigil" nähmen, um eine Nacht durchzuarbeiten. Meine Meinung: Was für Weicheier, das geht auch ohne Drogen. Und es ist ein unsportliches Verhalten, weil sie sich dadurch besser machen, als sie sind, während ich es nehme, um "normal" zu sein.
Und von den US-Streitkräften heisst es, sie hätten es an ihre Kampfflieger beim Desert Storm verfüttert. Das wiederum finde ich sehr fortschrittlich. Derartige Maßnahmen würden bei uns zu zahllosen Beschwerden von Soldaten, Anhörung des entsprechendem Beauftragtem im Bundestag und zu einem "Spiegel"-Titelthema führen.
Vergleichlich auch unter Wissen: "Die Pathologie des Normalen" (Neuro-Enhancement)
Mit jeweils 1 Tablette morgen ergab sich keine signifkante positive Wirkung, die Bekemmung war zwar nicht mehr dauerhaft, aber präsent, und ich war emotional sehr unstabil (Verzweiflungs- oder Angstschübe).
Ich habe daraufhin auf die Höchstdosis erhöht (jew. 2 Tabletten), was regelmäßige abendliche Verzweiflungsschübe inkl. Selbstmordgedanken mit sich brachte. Daraufhin Reduzierung auf 2x Tabl. "Elontril" und 1,5 Tabl. "Vigil". Dadurch deutliche Besserung.
Nebenwirkungen ("Vigil" zusammen mit "Elondril"): die ersten vier Wochen dauerhafte - aber nur leichte - Kopfschmerzen flächig im Stirnbereich, manchmal stark und fokussiert auf Nasenwurzelbereich, weiterhin: leichtes Zittern, leichte Übelkeit, pelziges (taubes) Gefühl in der Nase- und Mundpartie, Sehstörungen (Augenschmerzen, Verschwommenheit in der Nähe, "Sternchen" vor blassen Hintergründen), starker Schweiss- und Uringeruch.
- bei hoher Dosierung (s.o.): wie oben, plus Einschlafstörungen, erhöhter Puls und Blutdruck, stärkeres Zittern der Hände, Hände u. Füße "schlafen" schnell ein. Ca. 6 Std. nach Einnahme leichte Hitzewallungen. Selbstmordgedanken.

5. "Tavor" (Wirkstoff: Lorazepam): zur fallweisen Anwendung bei starken Angstschüben (also nur für Notfälle). Ich nehme dann 1/4 bis 1/2 Tablette, meines Wissens entspricht das 0,25 (0,50) mg Lorazepam. Wirkt sehr schnell. Ich vermeide wenn möglich die Einnahme (arg.: BtmG-Medikament, Suchtgefahr, kognitive Beeinträchtigung). Mußte und muß ich jedoch vereinzelt während der Einnahme von "Solvex" und "Elondril", jeweils in Verbindung mit "Vigil", nehmen, auch bei der erhöhten Dosis.

Fazit: eine hilflos anmutende Medikamentation durch ständiges Ausprobieren, was Wirkstoff und Dosierung betrifft, angepasst/variiert zudem an wechselnde Lebenssituationen. Die beste Wirkung wird mit einem Lifestyle-Medikament zur Raucherentwöhnung erreicht. Da muß noch viel geforscht werden.



Wissen: "Baustelle Kopf" (SZ vom 03.05.2007) (akt. 22.02.2008)

Hanno Charisius schrieb in der Süddeutschen Zeitung, 03.05.07, Wissen, S. 20 unter dem Titel "Baustelle Kopf - Fortschritte in der Hirnforschung ermöglichen inzwischen Eingriffe direkt in unsere Denk- und Steuerzentren - und wir stehen erst am Anfang einer umwälzenden Entwicklung. Europäische Forscher fordern nun Zurückhaltung" (gekürzt):

"Bilder und Gefühle entstehen in einem Chaos aus chemischen Botenstoffen und elektrischen Impulsen, genau wie Wahrnehmungen, Erinnerungen und Ideen. Gleichzeitig ist das Gehirn für die Koordination von Bewegungen zuständig.
In dieses Treiben greift der Mensch inzwischen ein: Fortschritte in der Hirnforschung ermöglichen Interventionen direkt ins Denk- und Steuerzentrum. Gedächtnistuning mit Medikamenten, psychopharmakologische Therapien für Demenzkranke und Psychiatrie- Patienten, Nerventransplantation, Neuroprothetik und elektrische Schrittmacher markieren wahrscheinlich erst den Anfang einer umwälzenden Entwicklung.
Sogar für Experten ist es schwierig geworden, im Strom der Nachrichten zwischen real verfügbaren Anwendungen und Zukunftsvisionen zu unterscheiden: Gelähmte steuern künstliche Gliedmaßen mit der Kraft ihrer Gedanken. Menschen mit Depressionen regulieren ihre Stimmung mittels im Gehirn implantierter Elektroden. Parkinsonpatienten bekommen Nervenzellen abgetriebener Föten in das Gehirn gespritzt. Studenten bereiten sich mit Büchern und Gedächtnispillen auf Prüfungen vor.
Eine ... Studie der Europäischen Akademie zur Erforschung und Beurteilung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen versucht, in dieser verwirrenden Gemengelage eine Orientierungshilfe bieten ..., zeigt die derzeitigen Möglichkeiten und Entwicklungsperspektiven der Neurotechnologie auf und analysiert "die wichtigsten Bedenken gegen diese Interventionen aus philosophischer und juristischer Perspektive"...
Eingriffe ins Gehirn sind nach Auffassung der Experten je nach Absicht grundsätzlich unterschiedlich zu bewerten: Therapeutische Anwendungen sind demnach eher zu befürworten als Anwendungen, die "auf die Verbesserung der psychischen Funktionen von Gesunden abzielen".
Ein solches "Enhancement" ist nach Ansicht der Autoren allerdings nicht in jedem Fall verwerflich, sondern nur dann, wenn es schädliche Nebenwirkungen gibt oder ein gesellschaftliches Ungleichgewicht droht, weil nicht jeder Mensch sich Leistungssteigerer für das Gehirn leisten kann - oder will. "Sollten deutliche Anzeichen für eine solche Entwicklung erkennbar werden, scheint eine staatliche Intervention zum Schutz der Bürger geboten, die ein Enhancement ablehnen", schreiben die sieben Studienautoren.
Ansonsten stehe es jedem Menschen frei, seine geistigen Fähigkeiten durch geeignete Techniken, auf eigenes Risiko und auf eigene Kosten zu verbessern. Das Gesundheitssystem dürfe dadurch jedoch nicht belastet werden".

Es folgen Ausführungen zur gesellschaftlichen Veränderung durch die Neurotechnologie und das Erfordernis einer speziellen "Neuro-Ethik"; Link zum Volltext.

(Copyright: Süddeutsche Zeitung)

Wissen: Mozart ohne (Neben-)Effekt (SZ vom 11.04.2007) (akt. 22.02.2008)

Schade für die jungen Mütter, die schwanger direkt von Madonna auf Mozart umsteigen: den sog. "Mozart-Effekt" - Höre Klassik und Du - und Dein Ungeborenes - werden schlauer - gibt es nicht. Gelesen in der Süddeutschen Zeitung vom 11.04.2007, S. 18.

Demnach gibt es nur eine messbare neuronale Änderung in Form einer Vergrößerung der Gehirnregionen, die für die Feinmotorik zuständig sind. Und das natürlich nur beim aktivem Musizieren und nach vielen Jahren (Berufsmusiker).

Wegen der Wirkung der Stimmung auf die Leistungsfähigkeit war ich auf folgende Passage aufmerksam geworden: "Vielmehr würde jede Art von Musik, die Freude macht, genauso wie auch alle anderen angenehmen Reize die Stimmung heben und damit die Leistungsbereitschaft kurzfristig fördern."
Versuchte ich doch vor einigen Tagen meiner Freundin recht hilflos zu erklären, warum ich mich so schlecht konzentrieren kann, auch wenn ich nicht - wie meist - in einem dunklen Loch gefangen bin. Aber in Zukunft vielleicht beim Lernen leise Klassik im Hintergrund?

(Copyright Süddeutsche Zeitung)

Namensfindung (akt. 22.02.2008)

Bei der Suche nach einem einprägsamen Namen für diesen blog fiel mir ein Lied ein, welches, positiv ausgedrückt, den Wunsch nach Gesundung bzw. eine Voraussetzung davon recht poetisch ausdrückt: "Eisenherz" ist der Titel, von der 2002 erschienenen gleichnamigen CD der kuriosen Gruppe "Stahlhammer". Also ein starkes, geschütztes Herz.
Andererseits kann sich eine Depression auch wie ein Eisenherz "anfühlen"; Kälte, Angst, Beklommenheit, mechanische Gefühlslosigkeit (siehe auch: Definition).

Ein Textauszug:

"In der tiefsten Nacht
Und im Tal der Einsamkeit
Auf rechtem Weg
Geh' den Pfad, geh'
Nimm dein Herz und geh ins Licht.

Und es bebt in der Stille deiner Seele

Es schlägt bei Tag und Nacht in mir
Das Eisenherz
Kein Schmerz und edler Geist
Es schlägt bei Tag und Nacht in mir
Das Eisenherz
Ein Kelch voll Lebenskraft
Und Blut.

Zwischen Raum und Zeit
Und im Einklang deiner selbst
Auf rechtem Weg
Geh' den Pfad, geh'
Trag' die Last wie eine Zier."

Copyright: Stahlhammer