Samstag, 23. Februar 2008

Wissen: "Baustelle Kopf" (SZ vom 03.05.2007) (akt. 22.02.2008)

Hanno Charisius schrieb in der Süddeutschen Zeitung, 03.05.07, Wissen, S. 20 unter dem Titel "Baustelle Kopf - Fortschritte in der Hirnforschung ermöglichen inzwischen Eingriffe direkt in unsere Denk- und Steuerzentren - und wir stehen erst am Anfang einer umwälzenden Entwicklung. Europäische Forscher fordern nun Zurückhaltung" (gekürzt):

"Bilder und Gefühle entstehen in einem Chaos aus chemischen Botenstoffen und elektrischen Impulsen, genau wie Wahrnehmungen, Erinnerungen und Ideen. Gleichzeitig ist das Gehirn für die Koordination von Bewegungen zuständig.
In dieses Treiben greift der Mensch inzwischen ein: Fortschritte in der Hirnforschung ermöglichen Interventionen direkt ins Denk- und Steuerzentrum. Gedächtnistuning mit Medikamenten, psychopharmakologische Therapien für Demenzkranke und Psychiatrie- Patienten, Nerventransplantation, Neuroprothetik und elektrische Schrittmacher markieren wahrscheinlich erst den Anfang einer umwälzenden Entwicklung.
Sogar für Experten ist es schwierig geworden, im Strom der Nachrichten zwischen real verfügbaren Anwendungen und Zukunftsvisionen zu unterscheiden: Gelähmte steuern künstliche Gliedmaßen mit der Kraft ihrer Gedanken. Menschen mit Depressionen regulieren ihre Stimmung mittels im Gehirn implantierter Elektroden. Parkinsonpatienten bekommen Nervenzellen abgetriebener Föten in das Gehirn gespritzt. Studenten bereiten sich mit Büchern und Gedächtnispillen auf Prüfungen vor.
Eine ... Studie der Europäischen Akademie zur Erforschung und Beurteilung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen versucht, in dieser verwirrenden Gemengelage eine Orientierungshilfe bieten ..., zeigt die derzeitigen Möglichkeiten und Entwicklungsperspektiven der Neurotechnologie auf und analysiert "die wichtigsten Bedenken gegen diese Interventionen aus philosophischer und juristischer Perspektive"...
Eingriffe ins Gehirn sind nach Auffassung der Experten je nach Absicht grundsätzlich unterschiedlich zu bewerten: Therapeutische Anwendungen sind demnach eher zu befürworten als Anwendungen, die "auf die Verbesserung der psychischen Funktionen von Gesunden abzielen".
Ein solches "Enhancement" ist nach Ansicht der Autoren allerdings nicht in jedem Fall verwerflich, sondern nur dann, wenn es schädliche Nebenwirkungen gibt oder ein gesellschaftliches Ungleichgewicht droht, weil nicht jeder Mensch sich Leistungssteigerer für das Gehirn leisten kann - oder will. "Sollten deutliche Anzeichen für eine solche Entwicklung erkennbar werden, scheint eine staatliche Intervention zum Schutz der Bürger geboten, die ein Enhancement ablehnen", schreiben die sieben Studienautoren.
Ansonsten stehe es jedem Menschen frei, seine geistigen Fähigkeiten durch geeignete Techniken, auf eigenes Risiko und auf eigene Kosten zu verbessern. Das Gesundheitssystem dürfe dadurch jedoch nicht belastet werden".

Es folgen Ausführungen zur gesellschaftlichen Veränderung durch die Neurotechnologie und das Erfordernis einer speziellen "Neuro-Ethik"; Link zum Volltext.

(Copyright: Süddeutsche Zeitung)

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Danke sehr an den Autor.

Gruss Nelly